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Beeinträchtigende Schenkung durch den Erblasser: Die Ausgleichspflicht des beschenkten Vertragserben gegenüber dem anderen Vertragserben

(BGH, Urteil vom 28.09.2016, IV ZR 513/15)

Erbrecht Ausgleichspflicht

Wenn Geschwister sich in die Wolle bekommen, können schon einmal die Fetzen fliegen. Hier ging es um viel Geld – und um einen enttäuschten Erben (Sohn), der eine von dem Erblasser (Vater) vorgenommene Schenkung an die andere Erbin (Tochter) nicht kampflos hinnehmen wollte. Er dachte an die Ausgleichspflicht der Schenkung und verklagte seine Schwester auf Zahlung von 60.000,00 Euro. Die Folge war eine erbitterte Schlacht der Geschwister vor Gericht, ein Prozessmarathon über drei Instanzen. Lesen Sie hier über die lehrreichen Details des Falles, und wer letztlich gewonnen hat.

Der Fall

Ausgangspunkt des Streits war ein wechselbezügliches gemeinschaftliches Testament der Eltern aus dem Jahr 1995. Darin hatten sie sich gegenseitig zu Erben eingesetzt. Ihre beiden Kinder, Sohn und Tochter, bestimmten sie als Erben des Längstlebenden zu gleichen Teilen. Kurz danach starb die Mutter und der Vater nahm die Erbschaft an, was rechtlich zur Folge hatte, dass das gemeinschaftliche Testament verbindlich wurde und der Vertragserbe (Sohn und Tochter) in den Schutz des § 2287 BGB vor missbräuchlichen Schenkungen kamen. Übersetzt hieß das: Der Vater konnte das Testament nicht mehr ändern – und er durfte keines seiner beiden Kinder durch Schenkungen absichtlich schädigen. Soweit die Theorie.

Die Praxis sah anders aus: Der Vater übertrug 1999 seiner Tochter das von ihm selbst bewohnte Familienheim, wovon der Sohn nichts erfuhr. Dabei behielt der Vater sich den lebenslangen Nießbrauch und ein Rückforderungsrecht vor. Zusätzlich verpflichtete sich die Tochter gegenüber ihrem Vater, ihn in gesunden und kranken Tagen unentgeltlich zu pflegen und zu betreuen. Diese Überlassung des Grundbesitzes und der daraus abgeleitete Ausgleichsanspruch sollten später zum Zankapfel der Geschwister werden.

Der Vater verstarb 2012. Bis zuletzt hatte er in dem Haus alleine gewohnt, ohne jemals pflegebedürftig geworden zu sein. Die Tochter veräußerte den auf sie überschriebenen Grundbesitz wenig später für 120.000,00 Euro und strich das Geld ein.

Ihr Bruder fühlte sich durch die Schenkung anno 1999 benachteiligt und verlangte mit seiner Klage von seiner Schwester die Hälfte des Kaufpreiserlöses gemäß seiner Erbquote. Diese dachte gar nicht daran, ihren Bruder an dem Verkaufserlös zu beteiligen.

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Der Prozess

Dieser Fall rund um die Ausgleichspflicht einer Schenkung ist auch eine Geschichte darüber, dass sich Beharrlichkeit gerade bei gerichtlichen Auseinandersetzungen auszahlt. Außerdem ist die nächste Instanz immer für eine Überraschung gut – und am Ende kann die Gerechtigkeit siegen. Zwar hatte der Kläger die ersten zwei Instanzen gewonnen, aber die Beklagte gab nicht klein bei und spielte ihre letzte Karte aus: Sie legte Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Und dort erlebte der Kläger sein blaues Wunder. Erstmals drehte sich das Blatt zu Gunsten seiner Schwester.

Und wie es sich drehte! Der BGH nahm das Urteil der zweiten Instanz (Kammergericht Berlin) komplett auseinander und ließ kein „Stein“ über dem anderen.

Die Argumentation des BGH, Urteil vom 28.09.2016, IV ZR 513/15

Grundsätzlich könnte ein Ausgleichsanspruch des Klägers aus § 2287 Abs. 1 BGB wegen einer ihn beeinträchtigenden Schenkung gegen seine Schwester als Miterbin zustehen. Zwar gilt diese Anspruchsgrundlage für Erbverträge; sie wird aber entsprechend bei gemeinschaftlichen Testamenten angewendet.

Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch sind:

  • eine Schenkung im Sinne des § 516 BGB und
  • die Absicht des Erblassers (hier: des Vaters), den Vertragserben (hier: der Kläger) zu beeinträchtigen („Missbrauchsabsicht“)

 

Beide Voraussetzungen müssen unabhängig voneinander vorliegen.

Und hinter diese beiden Voraussetzungen setzte der BGH – anders als das Berufungsgericht – ein fettes Fragezeichen.

Zunächst einmal sei, so der BGH, die Überlassung der Immobilie auf die Tochter ein Geschenk gewesen. Damit schien die erste Anspruchsvoraussetzung im Sack. Doch der BGH führte aus, von der Schenkung müssten etwaige Gegenleistungen der Beschenkten abgezogen werden, d. h., diese müssten auf die Schenkung angerechnet werden. Zu diesen Gegenleistungen zählte der BGH nicht nur den Nießbrauch als dingliche Belastung, sondern auch das vorbehaltene Recht zum Rücktritt und die Pflegeverpflichtung, die die Tochter mit dem Überlassungsvertrag eingegangen war.

Der Nießbrauch ist ein vollumfängliches Nutzungsrecht, d. h. der Nießbraucher (hier: der Vater) konnte den Nießbrauchgegenstand (hier: die an die Tochter übertragene Immobilie) entweder lebenslang weiter selbst bewohnen oder vermieten. Etwaige Mieteinnahmen hätte er verbrauchen können. Hier war der Nießbrauch dinglich im Grundbuch gesichert – und damit offenkundig eine Belastung des Schenkungsgegenstandes. Eine solche Belastung minderte den Wert des geschenkten Grundstücks. Daher sei laut BGH die Höhe dieser Belastung zu ermitteln und von dem Schenkungswert des Grundbesitzes (= Verkehrswert der Immobilie im Übertragungszeitpunkt) abzuziehen. Hierfür komme es auf den Jahresnutzungswert des Nießbrauchs (= eine fiktive Jahresmiete) multipliziert mit der statischen Lebenserwartung des Nießbrauchers (im Jahr 1999 war er 71 Jahre alt, daher betrug der Vervielfältigungsfaktor 7,206) gemäß Anlage 9 zu § 14 Bewertungsgesetz an.

Auch die Pflegeverpflichtung sei, so der BGH, bei der Schenkung eine Abzugsposition. Es komme dabei nicht darauf an, ob der Vater bis zu seinem Tod tatsächlich gepflegt werden musste. Maßgeblich sei allein der Wert der Pflegeverpflichtung zum Zeitpunkt der Überlassung im Jahr 1999 gewesen. Dieses sei damals eine Prognoseentscheidung anhand subjektiver Bewertungen der Parteien gewesen. Für die Berechnung der Höhe dieser Abzugsposition müsse der noch zu ermittelnde jährliche Wert der vertraglich zugesicherten Pflegeleistung mit dem gleichen Vervielfältigungsfaktor wie beim Nießbrauch (7,206) multipliziert werden.

Schließlich könnte laut BGH auch das vorbehaltene Rücktrittsrecht als wirtschaftlicher Nachteil bewertet werden.

Würde nach Abzug dieser drei Gegenleistungen noch ein Schenkungswert verbleiben, müsste im zweiten und letzten Schritt geprüft werden, ob der Erblasser im Jahr 1999 bei der Grundstücksüberlassung an seine Tochter überhaupt in der Absicht handelte, den Kläger zu beeinträchtigen.

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Der BGH stellte heraus, dass es darauf ankäme, ob der Vater sein Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht habe. Zur Erinnerung: Der Vater war seit dem Tod seiner Frau an das gemeinschaftliche Testament gebunden – und entsprechend waren die Vertragserben – sein Sohn und seine Tochter – vor beeinträchtigenden Schenkungen durch das Gesetz geschützt. Das betrifft auch die Fallkonstellation, dass ein Vertragserbe dem anderen gegenüber durch eine Schenkung bevorzugt wird.

Ein solcher Missbrauch sei aber nach Meinung der BGH-Richter zu verneinen, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der Schenkung hatte. Dieses sei anzunehmen, wenn die Schenkung in Anbetracht der Umstände unter Berücksichtigung der Bindung an das Testament als billigenswert und gerechtfertigt erscheint. Ein solches Interesse könne dann vorliegen, wenn der Vater den Fokus auf seine Versorgung und ggf. Pflege im Alter gerichtet hatte, oder der Erblasser in Erfüllung einer sittlichen Pflicht handelte, er sich beispielsweise mit dem Geschenk für bereits geleistete Hilfe bedanken wollte. Der BGH hob hervor, dass der Kläger für die beiden anspruchsbegründenden Voraussetzungen (Schenkung ohne rechtfertigendes Eigeninteresse) darlegungs- und beweisbelastet sei.

Ein zentraler Abschnitt in dem Urteil dürfte gewesen sein, dass aus der Vereinbarung „Pflege nach Bedarf“ keine negativen Schlüsse gezogen werden dürfen:

Das Bedürfnis eines alleinstehenden Erblassers nach einer seinen persönlichen Vorstellungen entsprechenden Versorgung und Pflege im Alter ist auch dann ein vom Vertragserben anzuerkennendes lebzeitiges Eigeninteresse, wenn der Erblasser es dadurch zu verwirklichen sucht, dass er eine ihm nahestehende Person durch eine Schenkung an sich bindet.“ (BGH, Urteil vom 28.09.2016 – IV ZR 513/15 Rz. 17) (LINK bitte zu openJur)

Der Kläger müsste also beweisen, dass ein lebzeitiges Interesse entgegen dieser Ausfassung nicht bestanden hatte oder die vorgebrachten Gründe nur vorgeschoben waren.

In diesem Zusammenhang stellte der BGH klar, dass auch ein lebzeitiges Eigeninteresse nur an einem Teil der Schenkung in Betracht kommt und somit nur diesen Teil der Schenkung rechtfertigen könnte. Da der Erblasser für ihn erbrachte und zukünftig zu erbringende Gegenleistungen sich etwas kosten lassen darf, forderte der BGH für die Berechnung des Schenkungswertes eine Gesamtabwägung der Umstände.

Zurückverweisung an das Berufungsgericht

Mit diesen Vorgaben wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht (Kammergericht Berlin) zurückverwiesen. Sollte das Berufungsgericht dann immer noch zu einem Anspruch des Klägers kommen, forderte der BGH, die Wertverhältnisse zum Zeitpunkt der Schenkung und nicht zum Zeitpunkt des Erbfalls zu Grunde zu legen – und zwar unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes.

Erneutes Urteil des Kammergerichts vom 07.04.2017 (7 U 6/15)

Und wie endete der Prozess? Der Leser wird es bereits ahnen: Der Kläger verlor den Prozess und damit seinen Anspruch auf Ausgleich der Schenkung – die Klage wurde endgültig abgewiesen. Das Kammergericht wendete in der „2. Runde“ nun die von dem BGH mitgeteilten Grundsätze an und verneinte im Ergebnis einen Zahlungsanspruch des Klägers. Ihm sei es nicht gelungen, die Beeinträchtigungsabsicht seines Vaters darzulegen, geschweige denn zu beweisen. Dementsprechend gäbe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Schenkung nur teilweise missbräuchlich war.

Interessant war die Berechnung, die das Kammergericht vornahm, um zu ermitteln, in welcher Höhe überhaupt eine Schenkung durch den Vater erfolgte. Es ging dabei von einem Wert des Grundstücks zum Stichtag der Beurkundung des Überlassungsvertrages (26.01.1999) von 140.000,00 DM aus – und zog für den Nießbrauch ca. 65.000,00 DM und für die Pflegeversicherung ca. 17.000,00 DM ab. Für das Rücktrittsrecht übernahm das Gericht die Auffassung der Beklagten (unter Verweis auf OLG Koblenz, ZEV 2002, 460, 461 und OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.02.1999, 9 U 125/98) und setzte einen Abzug von pauschal 10 % (= 14.000,00 DM) an, so dass der Wert der Zuwendung tatsächlich nur ca. 44.000,00 DM betrug. Dieser Wert entsprach also knapp 1/3 des Grundstückwerts.

Nur am Rande: Ein Anspruch aus § 2325 Abs. 3 BGB (Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen) scheiterte daran, dass die 10-Jahresfrist abgelaufen war (Grundstücksumschreibung im Jahr 2001; Tod des Erblassers in 2012).

Fazit: Die beklagte Tochter des Erblassers gewann den Prozess um die Ausgleichspflicht hinsichtlich der Schenkung schlussendlich auf der Ebene der sie treffenden sekundären Darlegungslast. Sie trug hinreichend zum lebzeitigen Eigeninteresse ihres Vaters an der Schenkung vor, z. B. wie die persönlichen Verhältnisse bei ihrem Vater waren, welche Beziehung sie zu ihm hatte, was sie alles für ihn getan hatte. Das alles sprach gegen eine Missbrauchsabsicht – und ihrem auf Ausgleich klagenden Bruder gelang nicht, das Gericht von dem Gegenteil zu überzeugen. Letztlich rächte sich nach meiner Überzeugung für ihn der Umstand, dass er – wie so oft in Familien zu beobachten ist – seiner Schwester die Arbeit überlassen und sich selbst „in vornehmer Zurückhaltung“ geübt hatte. Denn im Prozess kam auch raus, dass er seit dem Tod der Mutter nur sporadisch Kontakt zu seinem Vater gehabt hatte, der sich verständlicherweise an seine Tochter hielt bzw. diese durch die Grundstückschenkung an sich binden wollte.

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Meine Person

+ Jahrgang 1968
+ Rechtsanwalt seit 1997
+ Fachanwalt für Arbeitsrecht seit 2001
+ Notar seit 2006

Arnim Buck • Fachanwalt für Arbeitsrecht, Notar & Autor

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